Andere Menschen, andere Kulturen, andere Gehirne
Eine neurowissenschaftliche Reise zwischen Ost und West
Heidelberg, 12. März 2015
Unser kultureller Hintergrund bestimmt unser Denken und unsere Wahrnehmung. Georg Northoff, Professor für Geist, Gehirn und Neuroethik, untersucht, ob sich die kulturelle Herkunft eines Menschen auch in dessen Gehirnstrukturen erkennen lässt. Gibt es etwa zwischen Ost und West Unterschiede in der Funktionsweise des Gehirns? Wie nehmen Menschen in verschiedenen Regionen der Welt Emotionen wahr, ihre eigenen ebenso wie die ihrer Mitmenschen? Der studierte Philosoph und Mediziner beleuchtet in seinem Buch Wie kommt die Kultur in den Kopf? zentrale Fragestellungen der kulturellen Neurowissenschaften, einer neuen spannenden Forschungsrichtung.
Northoff verpackt neurowissenschaftliche Erkenntnisse in eine fiktive Rahmenhandlung. Die beiden Hauptakteure des Buches, Annalena von Freihausen, in China aufgewachsene Kulturanthropologin, und der deutsche Neurowissenschaftler Felix Trittau stolpern in ihren Gesprächen immer wieder über große Unterschiede in Wahrnehmung und Denken von Menschen verschiedener kultureller Herkunft. So konzentriert sich beispielsweise Annalena bei der Beschreibung einer Pagode sehr ausführlich auf die sie umgebende Landschaft, was Felix zu ungeduldigem Nachfragen veranlasst. Während er sich in seiner Wahrnehmung auf Objekte fixiert und den Kontext, in dem sich diese Objekte befinden, als zweitrangig betrachtet, nimmt Annalena die Objekte immer in Beziehung zum jeweiligen Kontext wahr. Die sogenannte analytische Wahrnehmung ist typisch für Personen des westlich geprägten Kulturraumes, die holistische Wahrnehmung für den asiatischen Kulturkreis.
Der Autor beschreibt, wie sich aus der Messung elektrischer Aktivitäten des Gehirns belegen lässt, dass der Unterschied zwischen holistischer und analytischer Wahrnehmung nicht nur ein rein psychologischer, sondern eben auch ein neurologisch messbarer ist. Felix und Annalena würden unterschiedliche neuronale Aktivitäten zeigen, wenn sie plötzlich eine Pagode am Ostseestrand bei Rostock zu sehen bekämen: Annalenas neuronale Aktivität würde in die Höhe schnellen, da Pagode und Ostsee nicht zusammenpassen und somit inkongruent sind. Felix hingegen würde vor allem die Pagode wahrnehmen und weniger ihre Inkongruenz zum Ostseestrand, seine neuronale Aktivität ist eher kontextunabhängig.
Northoff beleuchtet nicht nur kulturelle Unterschiede in der Wahrnehmung, sondern auch den Zusammenhang zwischen Kultur und Musik und zwischen Kultur und Emotionen. Er geht auch auf die Herausforderungen ein, die ein ‚Kulturschock‘, also die plötzliche Konfrontation mit einer kulturell fremden Umgebung an den Einzelnen stellt. „Das menschliche Gehirn bringt einerseits vielfältige kulturelle Differenzen hervor, auf einer anderen Ebene dann doch wieder ganz ähnliche Phänomene, die allgemein menschlich zu sein scheinen“, so der Autor und fügt hinzu: „Ich möchte dem Leser vermitteln, was es eigentlich für unser Gehirn heißt, sich in unterschiedlichen Kulturen zu bewegen. Machen wir uns also auf die Reise …“.
Georg Northoff studierte Medizin und Philosophie in Hamburg, Essen, Bochum und New York. Er war Professor für Neuropsychiatrie und Neurophilosophie und Direktor des Labors für Bildgebung und Neurophilosophie an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Von 2000 bis 2003 lehrte er an der Harvard University. Seit Mitte 2009 hat er einen eigens für ihn geschaffenen Lehrstuhl für Geist, Gehirn und Neuroethik an der University of Ottawa in Kanada inne. Northoff gehört weltweit zu den wenigen Wissenschaftlern, die eine interdisziplinäre Kombination aus Psychiatrie, Philosophie und Neurowissenschaften vertreten. Sein Ziel ist es, das Gehirn in all seiner Komplexität zu verstehen, und er begibt sich dafür auf Reisen in verschiedene Kulturen und Disziplinen. Von ihm sind unter anderem die Bücher Das disziplinlose Gehirn - Was nun, Herr Kant? und Die Fahndung nach dem Ich erschienen.
Georg Northoff
Wie kommt die Kultur in den Kopf?
Eine neurowissenschaftliche Reise zwischen Ost und West
2015, XIV, 248 S.
Hardcover € 19,99 (D) | € 20,55 (A) | sFr 25.00 (CH)
ISBN 978-3-662-44564-8
Auch als eBook verfügbar
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