8. Mai 1945: Missbrauch eines historischen Datums
Sammelband erklärt, wie Neonazis die eigenen nationalistischen und rassistischen Politikvorstellungen mit scheinbar historischen Argumenten zu legitimieren versuchen
Wiesbaden, 22. April 2015
Zum 70. Mal wird am 8. Mai das Ende des Zweiten Weltkrieges gefeiert. „Auch rechtsextremen Gruppierungen dient dieser Tag als historisches Datum – allerdings interpretieren sie ihn nicht als ‚Tag der Befreiung‘, sondern als ‚Tag der Schande‘“, sagen Martin Langebach und Michael Sturm. Ein Beispiel seien die Aufmärsche von Neonazis im mecklenburgischen Demmin, die schon seit Jahren stattfinden. Die Wahl des Ortes erfolge dabei nicht zufällig: „Hier brachten sich je nach Lesart zwischen 500 und 1000 Menschen um – aus Angst, der Roten Armee in die Hände zu fallen.“ Solche geschichtspolitischen Vorstöße der extremen Rechten in Deutschland zielen nach Ansicht der beiden Experten darauf ab, das Gedenken an die nationalsozialistischen Verbrechen als „Schuldkult“ zu diffamieren. Das kollektive Gedächtnis rechter Gruppen halte ein ganzes Repertoire an langlebigen Mythen, Bildern und Erzählungen bereit, das immer wieder zu bestimmten Anlässen abgerufen werde. Diese bezögen sich nicht nur auf geografische Orte, sondern auch auf Ereignisse, Artefakte oder Ideen. Der Springer VS-Sammelband Erinnerungsorte der extremen Rechten umfasst Autorenbeiträge, die ausgewählte Erinnerungsorte und ihre Symbolik skizzieren und daran geknüpfte Legenden entmystifizieren.
„Erinnerungsorte erfüllen für das politisch rechte Spektrum eine wichtige sinnstiftende Funktion: Sie sollen dessen nationalistische und ethnozentrisch-rassistische Gemeinschaftsentwürfe rechtfertigen“, erklärt Martin Langebach. Für die verschiedenen Strömungen des Rechtsextremismus in der Bundesrepublik stelle „Geschichte“ dabei ein zwiespältiges Politikfeld dar. Zum einen bildeten die Verbrechen des Nationalsozialismus eine Hypothek, zu denen sich die Akteure der extremen Rechten in irgendeiner Form verhalten müssen. Zum anderen aber haben sich geschichtspolitische Themen in den vergangenen Jahren vor allem für den aktionsorientierten Teil der rechten Gruppierungen als besonders mobilisierungsfähig erwiesen: „Zu nennen sind hier neben Demmin die Agitation gegen die Wehrmachtsausstellungen des Hamburger Instituts für Sozialforschung 1995 bis 2004, die ‚Trauermärsche‘ anlässlich des Todestags von Hitler-Stellvertreter Rudolf Hess im oberfränkischen Wunsiedel oder die Dresdner Aufmärsche zum Jahrestag der Bombardierung der Stadt am 13. Februar 1945.“
„Ihnen geht es – auch, aber nicht nur am 8. Mai – vor allem darum, eine Erinnerungskultur zu konstruieren, die vorwiegend die deutschen Opfer des Zweiten Weltkriegs in den Mittelpunkt rückt, ohne die Ursache – die aggressive Expansions- und Vernichtungspolitik des nationalsozialistischen ‚Rassestaates‘ – zu erwähnen“, gibt Michael Sturm zu bedenken. Die deutsche Geschichte werde stattdessen als eine bis in die Gegenwart reichende Verlust- und Leidensgeschichte interpretiert. Die heutige Erinnerungskultur der Bundesrepublik sei den Deutschen von den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs aufgezwungen worden, um Deutschland dauerhaft unterdrücken zu können. Diese Erzählmuster allerdings seien nicht neu: „Seit jeher wird immer wieder der angeblich ebenso leidvolle wie heldenhafte Opfergang des deutschen Volkes angesichts übermächtiger Gegner beschworen.“ Im Kern jedoch gehe es darum, die eigenen nationalistischen und ethnozentrisch-rassistischen Politikvorstellungen mit scheinbar historischen Argumenten zu legitimieren.
Zwölf dieser Erinnerungsorte werden im Sammelband exemplarisch vorgestellt. Der Band verfolgt damit die Intention, das Geschichtsverständnis der extremen Rechten und deren geschichtspolitischen Vorstöße kritisch zu betrachten und auf diese Weise zu einem reflektierten Geschichtsbewusstsein beizutragen.
Das Buch ist in der Edition Rechtsextremismus erschienen, die innovative und nachhaltige Forschungsbeiträge zu Erscheinungsformen der extremen Rechten als politisches, soziales und kulturelles Phänomen versammelt.
Martin Langebach ist als Referent bei der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) tätig.
Michael Sturm ist pädagogisch-wissenschaftlicher Mitarbeiter im Geschichtsort Villa ten Hompel der Stadt Münster und Mitarbeiter der Mobilen Beratung im Regierungsbezirk Münster – Gegen Rechtsextremismus, für Demokratie (mobim).
Martin Langebach | Michael Sturm (Hrsg.)
Erinnerungsorte der extremen Rechten
2015, 297 S.
Softcover € 39,99 (D) | € 41,11 (A) | sFr 50.00 (CH)
ISBN 978-3-658-00130-8
Auch als eBook verfügbar
Bild: Coverabbildung des neuen Buchs Erinnerungsorte der extremen Rechten von Springer VS |
© Springer
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