Fotojournalismus zwischen sozialer Verantwortung und Voyeurismus
Wolfgang Pensold begibt sich auf die Suche nach den historischen Wurzeln des Genres und zeigt anhand der Arbeit namhafter Fotografen, was den Fotojournalismus ausmacht
Wiesbaden, 18. Juni 2015
„Du musst nahe an die Menschen ran, um gute Bilder zu bekommen“, meint Robert Capa, der aus Budapest vertriebene Jude, der zum Prototyp des Kriegsfotografen und zur zentralen Figur in der Geschichte des Fotojournalismus aufstieg. „Die Kamera ist eine Waffe gegen soziale Ungerechtigkeit“, sagt Gordon Parks, der erste angestellte Fotograf afroamerikanischer Herkunft bei Life und Verfechter der schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA nach dem Zweiten Weltkrieg. „Was zählt, sind die Bilder“, lautet das Credo des New Yorkers James Nachtwey, eines der bekanntesten Bildjournalisten der letzten Jahrzehnte. Stimmen, die nach Ansicht von Wolfgang Pensold verdeutlichen, dass Fotojournalismus neben einer technischen, ökonomischen und politischen auch über eine ideelle Seite verfügt: „Fotojournalismus beschreibt vor allem eine moralische Haltung.“ Die Motivation ergebe sich aus der Aufgabe, für Menschen einzutreten, Missstände zu dokumentieren und dazu aufzurufen, diese abzustellen. In seinem Springer VS-Band Eine Geschichte des Fotojournalismus begibt sich der Autor auf die Suche nach den historischen Wurzeln des Genres und zeigt anhand der Arbeit namhafter Fotografen, was den Fotojournalismus zwischen moralischem Anspruch und kommerzieller Zweckentfremdung ausmacht
„Fotojournalismus bedeutet, mit dokumentarischen Fotografien in anwaltschaftlicher Tradition für die Schwachen einzutreten und sich gegen Machthaber, die zumeist auch über die Deutungshoheit verfügen, zu stellen“, ist Wolfgang Pensold überzeugt. Die Wurzeln hinsichtlich dieser ideellen Tradition sieht der Autor im Aufkommen der modernen Massenpresse Mitte des 19. Jahrhunderts, die einen populären Pressetyp entstehen lässt und immer breitere Leserkreise erreicht, die zunehmend nach bildlichen Illustrationen verlangen. Ein zentrales Genre bildete dabei die Sozialreportage, die soziale Ungerechtigkeiten dokumentieren und öffentlich anprangern wollte: „Der Fotojournalismus im 19. und 20. Jahrhundert übernimmt das soziale Engagement, das aktive Eintreten für Unterdrückte und Unterprivilegierte – insbesondere für diejenigen, die unter Katastrophen und Kriegen leiden – sowie den Anspruch, einen gesellschaftlichen Wandel zum Besseren herbeizuführen.“
Gleichzeitig aber entwickelte sich der Bildjournalismus von Anfang an auch entlang von Abgründen, räumt Pensold ein: „Es kam und kommt oft zur Zweckentfremdung – sei es durch kommerzielle Interessen am Markt der Pressespektakel und Voyeuristen, durch Propagandisten im Dienste des Staates oder durch die Eitelkeit des Fotojournalisten selbst, die ihn dazu treibt, Elend und Leid von Menschen für bloße Karrierezwecke zu missbrauchen.“ Oft gebe es keine klare Grenze zwischen moralisch und unmoralisch. So oder so setzten viele Bildjournalisten beständig ihr Leben aufs Spiel und strapazierten ihre seelische wie körperliche Gesundheit, um der Welt ansonsten ungesehen bleibende Dinge zu zeigen. Daher sei es wichtig, einen Blick auf die Männer und Frauen zu werfen, die die Kamera bedienen – auf ihre Motive und Ziele, aber auch Erfolge und Niederlagen. „Es war alles umsonst, kein Bild hat je einen Krieg beendet“, resümiert zum Beispiel der Brite Don McCullin am Ende seiner Laufbahn. Jahrzehnte in den Kriegen der Welt also umsonst? Nur Spukbilder von den Toten, die man fotografiert hat und die einen nicht mehr loslassen? „Nein“, entgegnet James Nachtwey: „Die Bilder verändern die Welt zum Besseren, wenn auch nur langsam, unmerklich.“ Daher dürfe man nicht aufhören, das Grauen abzulichten und zu veröffentlichen.
Der Band beschreibt die Arbeitsweise renommierter Protagonisten – darunter Mathew B. Brady, Dorothea Lange, Robert Capa, Margret Bourke-White, Gordon Parks, Don McCullin und James Nachtwey – und lässt diese selbst zu Wort kommen. Dabei wird nicht nur die Historie des Genres dargestellt, sondern auch für die Zukunft die Frage abgeleitet, wohin sich des Fotojournalismus angesichts einer volldigitalisierten Medienlandschaft und mit Handy-Kameras durchsetzten Gesellschaft entwickelt.
Dr. Wolfgang Pensold ist Kommunikationswissenschaftler und im Technischen Museum Wien zuständig für die wissenschaftliche Betreuung der Sammlungsgruppen Radio und Fernsehen, Audio und Video, Fotografie und Film, Satz und Druck. Als Kurator ist er verantwortlich für die inhaltliche Konzeption und Bespielung der Dauerausstellung medien.welten. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Geschichte der modernen Mediengesellschaft.
Wolfgang Pensold
Eine Geschichte des Fotojournalismus
Was zählt, sind die Bilder
2015, 202 S.
Softcover € 29,99 (D) | € 30,83 (A) | sFr 37.50 (CH)
ISBN 978-3-658-08296-3
Auch als eBook verfügbar
Bild: Coverabbildung des Buchs Eine Geschichte des Fotojournalismus von Springer VS | © Springer
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