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Fremdenfeindlichkeit oder Polizeiroutine?

Eine qualitative Untersuchung über den Umgang der Polizei mit migrantischen Opfern

Wiesbaden, 15. Oktober 2015

© Springer„Polizeiliche Unsensibilität im Umgang mit Migranten(opfern) ist kein singuläres, sondern ein systemisches Phänomen“, erklären Hans-Joachim Asmus und Thomas Enke. Angesichts der großen Flüchtlingsströme aus Kriegs- und Armutsgebieten und einer damit einhergehenden Mobilisierung rechtsextremer Täter wird die Zahl kritisierbarer Fälle nach Ansicht der beiden Sozialwissenschaftler weiter zunehmen. In ihrem bei Springer VS erschienenen Buch Der Umgang der Polizei mit migrantischen Opfern beschreiben Asmus und Enke sowohl die Ursachen als auch mögliche Lösungen. Die Studie geht der Frage nach, welche Hintergründe der wiederholt in der öffentlichen Kritik stehende Umgang der Polizei in Sachsen-Anhalt mit migrantischen Opfern in Einsätzen bei vorurteilgeleiteter Kriminalität hat. Die Ergebnisse der Interviews mit Migranten, Migrantenbetreuern, Opferberatern und Polizeibeamten aller Hierarchieebenen belegen, dass die Vorwürfe einer generellen Fremdenfeindlichkeit der Polizei empirisch nicht haltbar sind. Allerdings gibt es eindeutige Hinweise für eine mangelnde Sensibilität von Polizeibeamten im Umgang mit migrantischen Opfern in Einsätzen bei vorurteilsmotivierten Straftaten.

Als „Verfassungsarbeiterin“ ist die Polizei verpflichtet, in ihrem Handeln die Grundrechte zu wahren, so Hans-Joachim Asmus und Thomas Enke: „Soweit ihr normativer Anspruch, ihre normative Bindung und die Erwartungen des Bürgers.“ Vor diesem Hintergrund werde die polizeiliche Einsatzpraxis gegenüber den verschiedenen ethnischen Gruppen immer wieder in der medialen Öffentlichkeit und Politik kritisiert. Das betreffe sowohl den wenig sensiblen Umgang mit Migranten, die Opfer von rechtsextremistischen Straftaten geworden sind, als auch den Umgang mit den Tätern, deren Täterschaft und politische Motivation häufig im Vagen gehalten werden: „Manche Zeitungen schreiben nach Fällen von rechtsextremistischen Angriffen auf Migranten sogar von Fremdenfeindlichkeit der Polizei oder von Sympathien mit den in der Regel rechtsextremen Tätern – eine These, die wir nach unseren Forschungsergebnissen nicht teilen.“

Nach den Auswertungen der qualitativen Interviews zeigte sich dennoch, dass polizeiliche Unsensibilität im Umgang mit Migrantenopfern Reproduktionscharakter hat. Nicht Fremdenfeindlichkeit jedoch sei die Ursache einer in der Regel nichtintendierten Diskriminierung der Opfer, sondern paradoxerweise das betont neutrale und fachliche Vorgehen der Polizei, so die Autoren: „Die Polizeiroutinen wie technische Regeln kommen gleichermaßen gegenüber jedermann zum Zug. Damit wird die situativ und interkulturell unflexible Anwendung ein selbstverständliches Handlungsmuster der Beamten – auch bei Einsätzen bei mutmaßlich rechtsextremistisch und rassistisch motivierten Überfällen auf Migranten.“ Durch dieses stringente und undifferenzierte Vorgehen nach polizeilichen Regeln werde die besondere Schwere der Viktimisierung von Betroffenen rassistischer Angriffe gar nicht erst in den Blick genommen. Stattdessen „retteten“ sich die Beamten durch eine Übertonung der Prinzipien „Neutralität“ und „Gleichbehandlung“ aus Einsatzlagen mit komplizierten kulturellen Überschneidungssituationen, ohne Bewältigungsprobleme einräumen zu müssen: „Damit entziehen sie sich einer für sie überkomplexen Situation und brauchen sich nicht um den kulturellen Konflikthintergrund ihrer Klientel zu kümmern.“ Die möglichen Folgen seien nicht nur fehlende Prioritätensetzung bei den Ermittlungen, sondern auch das Unterlassen des gebotenen polizeilichen Opferschutzes.

Im Rahmen der aktuell steigenden Zahl von Flüchtlingen ist mit einer Mobilisierung rechtsextremer Täter zu rechnen. Die polizeiinterne Einübung eines souveränen Verhaltens in interkulturellen Situationen halten Asmus und Enke daher für dringend notwendig: „Das wird aber nur gelingen, wenn sich die Polizeibeamten ihrer durch Gruppenkultur verfestigten Denk- und Handlungsmuster bewusst werden.“ Dazu müssten sowohl interne als auch externe Kommunikationsbarrieren abgebaut werden: „Die interne Kritik wird bisher als wenig fürsorglich wahrgenommen, und die mediale Kritik als polizeifern abgewiesen.“ Die Autoren empfehlen, in eine praxisorientierte Fortbildung für Polizeibeamte aller Hierarchieebenen zu investieren, die die Möglichkeit der Reflektion und des Bewusstwerdens des inkriminierten Verhaltens zum Ziel hat.

Dr. Hans-Joachim Asmus (em.) und Dr. Thomas Enke sind als Professoren für Sozialwissenschaften an der Fachhochschule Polizei Sachsen-Anhalt tätig. 

Hans-Joachim Asmus | Thomas Enke
Der Umgang der Polizei mit migrantischen Opfern
Eine qualitative Untersuchung
2016, 230 S.
Softcover € 39,99 (D) | € 41,11 (A) | sFr 42.50 (CH)
ISBN 978-3-658-10439-9
Auch als eBook verfügbar

Bild: Coverabbildung des Buchs Der Umgang der Polizei mit migrantischen Opfern von Springer VS | © Springer

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